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Feelings suck. Abschied nehmen ist Scheisse.

Gestern war ich beten. Beten für eine ganz tolle Frau, mit mehr als 70 Lebensjahren schon ein kleines bisschen länger junggeblieben, aber die sich trotzdem viel viel zu früh auf den Weg gemacht hat für alle die sie gekannt haben. Für alle die sie geliebt haben sowieso. Eine liebe Frau, die schon mal losgeflogen ist zu den Engeln. Vorausgeflogen um von oben auf Ihre Liebsten aufzupassen.

Sie ist, sie war ein Teil meiner Vergangenheit. Je älter man wird, desto kleiner wird freilich dieser Anteil. Mit 20 Jahren sind 5 Jahre noch eine verdammt lange Zeit. Immerhin 1/4 Deiner Lebenszeit. Mit fast 40 sind 5 Jahre ein kleiner Lebensabschnitt. Nur mehr 1/8. Was nicht heißt, dass er deswegen weniger bedeutend oder prägend gewesen wäre. Und nichtsdestotrotz ist sie eine Frau, die ich immer wahnsinnig gerne mochte. Und bei der ich das Gefühl hatte immer Willkommen zu sein. Die in meinem Herzen war. So herzerwärmend. So herzerfrischend. Eine von den guten Seelen. Zumindest war sie das für mich. Ja. Wir haben uns aus den Augen verloren, wie das halt so passiert im Leben.

Und dann hab ich sie wiedergesehen. Voriges Jahr. Als ihr Mann verstorben ist. Der auch ein kleiner Teil meines Lebens, meiner Jugend war. Und ich hab geweint und sie ganz fest umarmt und ihr versprochen, dass ich sie bestimmt einmal besuchen komme. Und trotz ihrem großen Verlust und dieser unvorstellbaren Traurigkeit die sie durchleben musste hat sie versucht mich zu trösten und gemeint, sie freut sich und macht mir dann einen "Grießkoch". Ich meine, wie lieb ist das denn??? Wisst ihr jetzt was ich meine mit der guten Seele??? Sie hatte wohl noch in Erinnerung, dass ich "weiches Essen" gerne mochte. Was heißt "mochte". Ich hatte damals nicht die Wahl. Ich hatte eine Kieferoperation und bis das mit dem beißen wieder geklappt hat, hat das ein Weilchen gedauert. Dafür hatte ich zumindest die beste Figur die ich jemals in meinem Leben hatte. Blöderweise war mir das damals nicht bewusst. Auf jeden Fall wusste sie, dass Apfelstrudel meine absolute Lieblingsmehlspeise ist und hat den dann extra für mich püriert. Sie. Ihr Sohn. Einer von den beiden. Das spielt keine Rolle. Es geht um die Geste. Sowas machen nur die Guten.

Noch ein bisschen geweint, noch ein bisschen getrauert und schwupps hatte mich mein Alltag wieder. Und im Rädchen drin, zwischen Kindern, Haushalt, Arbeit und was sonst noch so alles durch den Alltag kreucht und fleucht vergeht die Zeit wie im Flug und plötzlich ist ein Jahr vorüber.

"Sie ist sehr schwach. Wir fürchten das Schlimmste"
Fünf Tage später: "Seine Mama ist gestern gestorben"

Wumms.

Nein. Nein. Nein. Neeeiiiiiin. Das darf sie doch gar nicht. Ich war doch noch nicht bei ihr. Das kann doch nicht sein. Meine Schwiegermutti war doch gerade noch auf ein Getränk mit ihr. Mein Versprechen. Ich habe mein Versprechen nicht gehalten.

Dicke Tränen. Vorwürfe. Schuldgefühle. Traurigkeit. Verlust. Der dicke Kloß im Hals. Was hilft diese scheiß Kerze die ich für sie anzünde??? Ich will sie nochmal sehen. Verdammt nochmal. Mein Versprechen einlösen. Mit ihr Lachen. Mit Ihr Kuttern. Mit ihr über alte Zeiten quatschen. Damals im alten Haus. Mit dem Holzboden, den man noch so richtig schrubben musste. Und dem guten alten Brotbackofen im Flur. Und wie es geduftet hat. Und der alten Haustür mit dem Fensterchen, das man öffnen konnte. Und dem Ofen am Dachboden damit wir nicht frieren mussten. Und der Baldy-Man-Frisur. Und das am besten bei einem Apfelstrudel mit Kakao. 

Als ich die Kirche betrat, war ich ja noch einigermaßen gefasst. Betretene, betroffene Gesichter. Nirgends Tränen. Sei stark. Sei bloss stark. Stell Dich nicht so an. Niemand heult. Nicht mal ihre Kinder und Enkerl. Ihr seid Euch ja gar nicht soooo extrem nahe gestanden. Aber je näher wir dem Sarg gekommen sind, desto mehr Emotionen kommen hoch und hoch und hoch...

Meine herzallerliebste Schwiegermama, hat mir zugeflüstert: "tief einatmen, tief einatmen". Vielleicht hat sie gehofft, dass ich die Traurigkeit wegatmen könnte. Einen Versuch ist es ja wert.

Wer mich kennt ahnt es schon: Es hat nicht geklappt. Am Sarg, beim Sprengen, beim "Aufwiedersehen" sagen, war es vorbei mit mir. Mein Herz ist übergegangen vor Traurigkeit und Schuldgefühl und Wissen dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann. "Hätt i, war i, tät i".

Gleichzeitig die Gedanken an all die Menschen, die man von Herzen gerne hat und auch wirklich gerne sehen möchte, sich aber dennoch nie die Zeit dafür nimmt. Reden wir uns "einmal" zusammen. Treffen wir uns bald "einmal". Das Grübeln, ob man sein Leben richtig lebt. Heute MUSSTE ich Zeit haben. Den heutigen Tag konnte ich nicht aufschieben auf später. Da muss also jemand zuerst sterben, dass man sich die Zeit nimmt. Ist das so??? Das Wissen, dass es definitv nicht so ist und dass man es trotzdem wahrscheinlich wieder nicht viel besser hinbringen wird in der Hitze des Alltags. Naja. Vielleicht ein bisschen. Und ein bisschen ist ja immerhin schon etwas. Schuldgefühle bringen uns nicht weiter. Der Glaube daran, dass unsere Gedanken, Gebete und das Lichtlein anzünden bei unseren Verstorbenen ankommen schon mehr. Loslassen. Im Vertrauen bleiben. Sie werden uns beschützen. Sie werden in unseren Herzen weiterleben, solange wir sie nicht vergessen. Das zählt. Das gilt. Ist es da in Wahrheit nicht total "tütü" wie oft man sich gesehen hat, solange die Gefühle ehrlich und echt sind???

Ich drehe mich vom Sarg um und gehe weiter. Ihre Familie da so zu sehen. In den ersten Reihen. Mit den traurigen Gesichtern. Im schwarzen Gewand. Sie sind da erst vor einem Jahr gesessen. So schnell hätte ich sie nicht wiedersehen wollen. Nicht auf diese Art und Weise. Dieser Gedanke, dass diese Menschen, die mir einmal sehr wichtig waren, ihren Papa bzw. Opa und ihre Mama bzw. Oma innerhalb so kurzer Zeit loslassen müssen. Unvorstellbar. Gleichzeitig der Gedanke an meine Oma. An meine Mama. An meine Schwiegermama. Ich glaub ich muss mal ein erstes Wörtchen mit ihnen reden. Die dürfen nämlich nie sterben.

Und während für sie alle die Welt gerade ein bisschen stehen bleibt, dreht sie sich für uns andere ganz normal weiter. Und weil "es, dessen Name keiner mehr hören kann" immer noch umgeht, haben sich alle Menschen die zum Abschied nehmen kamen nur vor die Familie hingestellt. Leichtes Kopfnicken. Mit den Lippen ein geformtes, kaum hörbares "mein Beileid". Nein, so geht das nicht. Nein, so funktioniert das nicht. Das fühlt sich nicht richtig an.

Und so bin ich tränenüberströmt zu den Kindern dieser besonderen Frau hingestürmt und hab sie einfach umarmt und geheult. Nicht nur ein bisschen. So richtig. Sagen konnte ich nicht viel. Schluchzen ging. "Eure Mutti war die Beste. Ich wünsche Euch viel Kraft. Ich werde sie nie vergessen." Und dann haben sich dort endlich auch Tränen lösen dürfen, die sich hartnäckig versteckt hatten. Und ich bin sooooo unendlich dankbar für meine Tränen und dass sie das bewirken konnten. Durften.

Zuerst wollte ich mich ja schämen dafür. Nein. Nein. Und nochmals nein. Wieso sollte ich mich für etwas schämen, das selbstverständlich sein sollte? Es ist ok Gefühle zu haben. Und es ist ok Gefühle zu zeigen. Denn wenn wir uns ehrlich sind, am Ende suchen wir doch alle nur jemanden, bei dem wir unsere Maske fallen lassen können. Und wer genau hinschaut, erkennt, dass Menschen, die ihre Gefühle zeigen, weder schwach, dumm oder naiv sind, ganz im Gegenteil, sie sind möglicherweise besonders stark, weil sie keine Maske brauchen und keine Angst davor haben, was die anderen denken oder reden könnten.


(c) VisualStatements
(c) VisualStatements

Sohn. Sohn. Tochter. Sohn. Sohn. Ich richte mich langsam auf aus der letzten Umarmung. Den letzten Sohn hab ich am längsten umarmt. Und am festesten. Der mit dem Apfelstrudel. Für den Verlust eines Elternteils gibt es keine Worte. Keinen Trost. Mein verheulter Blick sucht meine Schwiegermutti. Die Leute in der Kirche haben mich angeschaut wie eine Ausserirdische. Ungelogen. Und überhaupt nicht übertrieben. Ich hab ja sonst eher den Hang zur Übertreibung, aber in diesem Fall wirklich nicht. Ich hab dann in der Bank bei meiner Schwiegermama Platz genommen und sie hat mir Taschentuch Nr. 1 gereicht. Gott sei Dank hatte ich schon vorgesorgt und mich nicht geschminkt. Als ich mich gerade erst wieder gefangen hatte, hat der Herr, der vorgebetet hat irgendwas gebetet von wegen der schönen Erinnerungen und dem was wir uns auf dieser Welt noch schuldig geblieben sind. Taschentuch Nr. 2. Schuldgefühle lassen sich halt auch nicht in Sekunden auslöschen. Da kann man noch so klug sein und noch so viele Ausbildungen haben. Als Abschluss ein Gedicht. Ein unsagbar trauriges, schönes, wahres über den Verlust einer Mama. Taschentuch Nr. 3.

Meine Mama hat mir 1988 in mein Poesialbum folgenden Spruch geschrieben:
Verlässt Du erst Dein Elternhaus,
ziehst in die Weite welt hinaus,
so wird dir erst am Wege klar,
wie gut und treu die Mutter war.
Alles kannst Du Dir kaufen
für Gold und Erz,
aber niemals aus dem Grabe ein Mutterherz.

Damit ist alles gesagt.



PS: Was ich Euch ein bisschen mitgeben möchte mit dieser Geschichte auf Eurer Reise durchs Leben, falls ihr es noch nicht macht, falls ihr noch versucht seid, ständig, immer und überall Eure Maske zu tragen: Zeigt Eure Gefühle. Stück für Stück ein bisschen mehr. Jeden Tag ein bisschen mehr Mut für ein bisschen mehr Gefühl.

Gemäß dem Song-Text von S.T.S:

"Und i wer' kalt und immer kälter
I wer' abgebrüht und älter,
aber das i will i ned,
und das muss i jetzt klär'n
I möcht lachen, tanzen, singen und rear'n
Angst und Schmerzen soll'n mi wieder würg'n

Und die Liebe möcht i bis in die Zehenspitzen spür'n

So viele Menschen, die ich sehen durfte, mit denen ich arbeiten durfte, die genau das nicht machen. Angst vor Verletzung. Angst nicht zu genügen. Angst davor, was die anderen sagen könnten. Es ist Dein Leben. Und nur wenn Du Dich spüren kannst - und dazu gehören die guten UND die schlechten Gefühle, nur dann wirst Du das Gefühl haben lebendig zu sein. Nicht nur zu funktionieren, sondern zu leben. Zugegeben. Tut manchmal weh. FEELINGS SUCK. GEFÜHLE SIND SCHEISSE. Ja, manchmal. Aber abgesehen davon ersparst Du Dir viele gesundheitliche Themen wenn Du nicht alles "runterschluckst", Dir nicht alles auf "den Magen schlägt", Du Dein Herz nicht verschließt, Du Dir Deine Ängste erlaubst und Dir nicht alles still und heimlich an "die Nieren geht", Dir nicht unterdrückt die "Laus über die Leber" läuft, Du nicht starr wirst und kurzsichtig usw. usf...Ähm. Ich glaube Du weisst worauf ich hinauswill.


Lebensfrische. Lebensfreude. Lebensqualität
www.melaniekogler.at

Kommentare

  1. Liebe Meli,
    Nun brauch ich auch ein Taschentuch.... So schöne Worte und so eine großenTat die du getan hast. Du bist so ein wundervoller Mensch und Sie wird bei dir sein und dich spüren und ihr wollt euer Gespräch auf andere Weise nach ❤️ ich drück dich 💞🙏

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    1. Oooooh das ist ja eine schöne Rückmeldung!!! Herzlichen Dank!!! 💖💖💖

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